Interessante Ansicht über alte Säcke und den elitären Haufen ansich,
geklaut aus "Die Welt":
Warum Sie lieber ein Pferd kaufen sollten
Was keiner verstehen will: Motorradfahren ist kein Breitensport. Ein eigener Hengst im Stall ist billiger und macht mehr her
von Thomas Delekat
Was ist eine Kontinentalplattenverschiebung? Schnell erklärt. Am begreiflichsten mit einem Beispiel aus der Motorradsoziologie. Da knirschts. Da wanken Welten, und Urgesteine versenkts in die Tiefen der Geschichte.
Alle diese Vorgänge haben wir vor ein paar Jahren an einem hochrangigen BMW-Manager beobachtet. Der Mann, einer mit Herz und Verstand, sah eine BMW R60/6 aus den 70er Jahren auf einen Parkplatz fahren. Es ist ein Parkplatz in Berlin gewesen. Es war ein Parkplatz auf dem BMW-Motorradfabrikgelände und außerdem war es so, daß dieser Parkplatz vor dem gläsernen Showroom lag mit den neuesten BMW-Modellen. Der schrottreif abgenudelte Motor dieser R60/6, der stumpfe Lack, die zerbeulten Bleche und die zerrissenen Gummischutzlappen an den Kotflügeln - das alles baute sich präzis vis-à-vis den Doppelscheinwerfern eines BMW-Scarver-Modells auf. Helles Discoblau, changierend, Metallicglimmereffekt, Musikbox auf dem Tank. Der Mann steigt von der R60/6, er ist angekündigt. Er will seinen Ruhm, er will den Lobeslohn für seinen lebenslangen Markenstolz. Seine tapfere, alte BMW hat 350 000 Kilometer runter. Das sieht man ihr an. Dem Fahrer aber auch. Das Gesicht des BMW-Managers ist höflich gewahrt, versteinert könnte man sagen. In den Werkshallen hinter ihm werden gelbschwarz gestreifte Rockster R 1150 R montiert und discoblaue Scarver. Der Mann und der Manager sind fast gleichen Alters. Das Gesicht des BMW-Chefs sagt nichts, außer einem Vorwurf. Der Manager denkt: "Dieser Mann und seine Maschine sind Zeit ihres Lebens die Alten geblieben, ohne Reife, trotz ihres Alters - und das kann man von mir wirklich nicht sagen." Zwei Kontinentalplatten. Die eine im Sinken begriffen, die andere, die sich längst über sie geschoben hat.
Es gibt zwei anerkannte Gründe zu dem Umstand, daß seit ein paar Jahren in Deutschland bei den Motorrädern die Zulassungszahlen sinken. In Deutschland. Nicht in Frankreich oder England, und erst recht kann in Italien von Baisse aber bestimmt nicht die Rede sein. Der deutsche Hauptgrund ist: Der Altersdurchschnitt ist zu hoch, ganz knapp unter 40 Jahren, mit anderen Worten - alles, was drunter liegt, möchte zwar, kann sich aber Motorradfahren nicht leisten. Der Nebengrund ist: Drei Millionen Deutsche gibt es zwar, die Führerschein und Maschine besitzen (über 125 ccm). Aber acht Millionen, die ihre Klasse 1 bestanden haben, das aber nicht auskosten wollen. Von diesen acht Millionen "Schläfern" ist rund die Hälfte zwischen 30 und 50 Jahre alt - und nicht interessiert, obwohl sie einmal wild auf den Führerschein waren.
Was also ist los?
In einer der teuersten Wohnlagen der Bundesrepublik, einem Taunushang in der Nähe Frankfurts, wohnt ein vermögender junger Arzt, der eine Frau, zwei kleine Kinder hat, dazu eine riesige, luxuriöse Villa im Bauhausstil. Die hat eine Garage, in der auch drei Motorräder stehen, eine MV Agusta F4, eine MV Brutale und eine Ducati-Replica. Der Mann ist kultiviert, gebildet, etwas schüchtern, er fährt allein. Es ist ihm zwar nicht peinlich, ein Motorradfahrer zu sein. Aber er erwähnt es nie bei repräsentativen Gelegenheiten. Für ihn ist die Sache fast schon ein Geständnis.
Ist es nicht billiger und besser, ein eigenes Pferd zu reiten? Was ist mit Golf oder einer eigenen kleinen 8-Meter-Segelyacht? Mit allem könnte er sich sehen lassen. Ein schöner spanischer Hengst kostet 5000 Euro, die Pflege, der Stall, das Futter - das läuft finanziell auf dasselbe hinaus wie bei einem Big Bike mit versicherungsgünstigen 98 PS. Was also ist in dieser Reihe das Motorradfahren? Eine durch und durch elitäre Angelegenheit. Aber mit einem Prestige, das sich nicht loseisen kann vom Rocker-Ballermann-Stammtisch-Proleten-Habenichts-Dreckigefingenägel-Image oder gar dem Geruch von Nachkriegsärmlichkeit. Der neue Kontinent, die neue, luxuriöse Motorradwelt - sie wird offenbarfür die Alte gehalten. Es hat vor allem Harley-Davidson und in Deutschland BMW ein Vermögen gekostet und den vollständigen Austausch der (Hinterhof- und Schrauber-) Händler, dieses Image ein bißchen zu korrigieren. Altersdurchschnitt 40? Akademisch gebildet? Mittleres, gutes, bestes Einkommen? Was ist das alles? Niemand will glauben, was das ist: Es ist der typische Motorradfahrer.
Motorradfahren ist kein Breitensport, kein allgemeines Freizeitvergnügen wie Skat oder Fußball oder Stammtischtreffen - viel zu kostspielig, finanziell zu elitär. Aber ist nicht auch das gerade in Bewegung? Es beginnt damit, daß die großen Hersteller, viele offen, wenige verdeckt die Preise senken, bei Suzuki sogar um 1400 Euro bei zwei Modellen. Auch Harley-Davidson hat das verstanden, die Liste 2005 fängt ganz unten mit 7490 Euro für eine Sportster an. Und ein paar Jahre noch: Dann wird ganz sicher eine kräftige, moderne Maschine erscheinen, ein Volks- und Massenmotorrad mit ordentlich PS, bestem Design und ABS, für 5000 Euro. Ein neuer Motorradtyp - für alle.
Artikel erschienen am Sa, 29. Januar 2005 (!
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Grüße
Elke